Gegen Atakan Karazor und Nico Schulz laufen derzeit Verfahren wegen sexueller beziehungsweise häuslicher Gewalt gegen Frauen. Bis zur Urteilsverkündung gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Die Fälle der beiden Bundesligaspieler sind bei Weitem nicht die ersten.
Der Schriftzug, der beim Auswärtsspiel des VfB Stuttgart am zweiten Spieltag im Heimblock des SV Werder Bremen zu lesen war, richtete sich offenbar an den nach sechs Wochen aus der Untersuchungshaft entlassenen VfB-Mittelfeldspieler Atakan Karazor. „Ich habe damit ehrlich gesagt nicht gerechnet, und ich finde das auch sehr traurig", sagte der Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle dem Fernsehsender Sky. Karazor, der auf Ibiza festgenommen worden war, hatte einen Großteil der Saisonvorbereitung verpasst. Gegen den 25-Jährigen wird wegen einer „mutmaßlichen Straftat der sexuellen Nötigung" ermittelt, er bestreitet die Vorwürfe. Sportdirektor Sven Mislintat hatte Karazor immer wieder in Schutz genommen. Die Aufschrift auf dem Banner war auch an den Kaderplaner adressiert. „Kein Schutz für Täter. Solidarität mit Betroffenen. Mislintat, halt’s Maul" hatte darauf gestanden. „Ich lebe in einem Land, in dem es um die Unschuldsvermutung geht und nicht um Vorverurteilung", sagte Wehrle. „Wir haben natürlich im Vorfeld viele Gespräche geführt und uns unser Bild gemacht. Ich finde es wirklich schwierig, wenn man – ohne, dass man die Hintergründe kennt – dann öffentliche Plakate im Stadion platziert. Es geht hier auch um Menschen." Karazor war an den ersten beiden Spieltagen eingewechselt worden. Schon bei seinem Comeback in Stuttgart hatte es vereinzelte Buh-Rufe, aber auch Applaus gegeben. „Wir werden uns wieder dazu äußern, wenn die juristische Sachlage noch klarer ist. Dann wird auch jeder verstehen, warum ich die Themen, die wir in Bremen gesehen haben, überhaupt nicht nachvollziehen kann", sagte Wehrle. Clemens Fritz, Bremens Leiter Profifußball & Scouting, zeigte indes Verständnis für die VfB-Verantwortlichen. „Ich bin weit davon entfernt, unsere eigenen Fans zu kritisieren", sagte Fritz bei der Sendung „Sky90". „Aber als Verantwortlicher würde ich mich auch vor meinen Spieler stellen, solange er nicht verurteilt ist. Als Verein versuchst du immer, deine Spieler zu schützen."
Mislintat stellt sich vor den Spieler
In einer ähnlich misslichen Lage wie der VfB befindet sich auch Borussia Dortmund. Denn gegen Nationalspieler Nico Schulz stehen schwere Vorwürfe im Raum. Die Ex-Freundin des Fußball-Profis, der bei Borussia Dortmund unter Vertrag steht, wirft ihm schwere Misshandlungen vor. Der BVB-Spieler streitet alles ab. Das teilte sein Verein Borussia Dortmund jedenfalls in einem Pressestatement mit. Nach der Berichterstattung über die Vorwürfe seiner Ex-Freundin habe der Verein Gespräche mit Schulz und seinen Beratern gesucht. „Der Spieler bestreitet die gegen ihn erhobenen Strafvorwürfe", heißt es. Schulz werde sich mit einem Anwalt gegen die Vorwürfe verteidigen. Die Vorwürfe „wiegen äußerst schwer und sind für den BVB schockierend", heißt es weiter. Der Verein habe aktuell jedoch keinen Einblick in die Ermittlungsakten und sehe von konkreten Schritten zunächst ab. Der Fall werde jedoch weiter beobachtet. Die Anzeige gegen den Fußballer, über die die „Bild" berichtet, soll erdrückende Beweise enthalten. Demnach werden Whatsapp-Chatverläufe dokumentiert, die Schuldeingeständnisse des BVB-Profis beinhalten sollen. Bei Schulz fand bereits eine Hausdurchsuchung statt. Mögliche Beweismittel wurden sichergestellt. Es geht unter anderem darum, dass Schulz seine damalige Freundin weniger als zwei Wochen vor der Geburt des gemeinsamen Kindes in den Bauch getreten haben soll. „Er hat sie zuvor von hinten festgehalten und sie sodann zu Boden geworfen. Im Anschluss erfolgten weitere Handlungen in Richtung Bauch", zitiert die Zeitung aus der Anzeige. Insgesamt sieben Fälle seien in der 76-seitigen Anzeige dokumentiert, alle Vorfälle sollen sich 2020 ereignet haben. Nach dem Vorfall mit den Tritten in den Bauch Ende August 2020 habe die Frau, mit der Schulz mehrere Jahre liiert gewesen sein soll, an ihn geschrieben: „Ich sterbe gerade vor Schmerzen im Unterleib." Schulz habe darauf unter anderem geantwortet: „Es tut mir leid."
Zu einem anderen Vorfall im Januar 2020 habe die damalige Freundin geschrieben: „Was gibt dir das Recht mich zu treten, zu würgen, mich am Boden zu zerren, einen Spiegel auf meinen Kopf zu schmeißen, was". Schulz Antwort: „Hör auf, dass es aggressiv wird, du hast diese Tasse geschmissen und mir sind die Sicherungen durchgedreht" (sic!). Im März schickt die Frau dann Fotos an den Fußballer, die Verletzungen dokumentieren sollen. Die Antwort: „Tut mir leid." Anschließend schickt der damalige Nationalspieler ein Selfie mit herunterhängenden Mundwinkeln. Und weiter: „Ich hasse mich dafür." Am 1. April – wenige Monate, bevor Schulz die dann hochschwangere Frau misshandelt haben soll – schrieb der Fußballer nach weiteren Gewaltvorwürfen seiner Freundin via Whatsapp: „Das habe ich gemacht, weil ich mit der Situation und mir überfordert bin. So was passiert mir nie wieder. Bitte komm zurück, ich will dich nur in den Arm nehmen und dir Liebe geben. Du hast das alles nicht verdient, das weiß ich und ich werde es besser machen."
Schwere Vorwürfe gegen Schulz
Weiter zitiert die „Bild"-Zeitung aus einer Schulz-Mail im Juni 2020, die ebenfalls in der Anzeige auftauchen soll: „Es tut mir leid, dass ich dich andauernd geschlagen habe. Ich habe deinen Ohrring auf die Straße geworfen, nachdem ich dich bedroht und dich geschubst habe, obwohl du schwanger bist, mir ist klar, es war nicht richtig. Ich habe dich geschlagen und angelogen, weil ich nicht mehr weiter wusste." (sic!)
Dabei sind diese beiden Beispiele bei Weitem nicht die einzigen bekannten Fälle im Profifußball. Auch Weltfußballer Cristiano Ronaldo sah sich mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert, gewann den Fall aber vor Gericht. Ein inzwischen 37-jähriges Ex-Model aus Nevada wirft Ronaldo vor, sie 2009 in einem Hotelzimmer in Las Vegas vergewaltigt zu haben. Kathryn Mayorga hatte danach Anzeige erstattet und war ärztlich untersucht worden. Sie schloss aber später eine Schweigevereinbarung mit Ronaldo ab und erhielt nach eigenen Angaben 375.000 Dollar (gut 356.000 EUR). Der Fußballer hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen und beteuert, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Ein Bundesgericht in Las Vegas hatte eine Vergewaltigungsklage gegen den portugiesischen Fußball-Star abgewiesen. In ihrem 42-seitigen Urteil machte die Richterin das rechtswidrige Verhalten des Anwalts der Klägerin sowie die Schweigevereinbarung für die Einstellung des Zivilverfahrens verantwortlich. Ein Strafverfahren war drei Jahre zuvor mangels Beweisen eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung Ronaldos damals als unwahrscheinlich eingestuft.
Wo bleibt die Vorbildwirkung?
Weitere laufende Verfahren gibt es im Profifußball ebenfalls. Benjamin Mendy von Manchester City wird Vergewaltigung in mehreren Fällen und sexuelle Nötigung vorgeworfen. „Die Anklagen beziehen sich auf drei Klägerinnen im Alter von über 16 Jahren. Die Taten sollen zwischen Oktober 2020 und August 2021 stattgefunden haben", erklärte die Polizei. Mendy ist nach über 130 Tagen in Untersuchungshaft aktuell auf Kaution frei. Auch gegen Mason Greenwood (Manchester United) läuft ein Verfahren. Der 20-Jährige soll seine Freundin Harriet Robson vergewaltigt haben. Das wurde im Januar 2022 öffentlich. Sein Club reagierte in einer Stellungnahme: „Wir sind uns der Bilder und Behauptungen bewusst, die in den sozialen Medien kursieren. Wir werden keine weiteren Kommentare abgeben, bis die Fakten geklärt sind. Manchester United duldet keine Gewalt jeglicher Art." Greenwood ist nach der Untersuchungshaft auf Kaution frei. Der Umgang von Vereinen mit den Spielern ist kein einfacher. Dennoch muss am Beispiel des VfB Stuttgart auch kritisiert werden. Mislintat hat recht, wenn er auf die Unschuldsvermutung verweist. Und richtig ist auch, wie er in einem Podcast beklagte, dass in unserer Zeit sehr (vor-)schnell – besonders in den Sozialen Medien – ein oder vielmehr Tausende hässliche Urteile über die jungen Fußballer gefällt werden. Martin Einsiedler brachte es in seinem Kommentar im „Tagesspiegel" auf den Punkt: „Es ist daher eines, auf die gültige Rechtslage zu verweisen und seinen Angestellten zu schützen. Es ist aber etwas anderes, einen Bundesligaspieler mit Vorbildwirkung, gegen den ein Verfahren wegen sexueller Nötigung läuft, abzufeiern. Solange Karazor nicht von den Vorwürfen befreit ist, sollte der VfB für ihn ein bisschen weniger Verehrung zeigen." So scheint Karazor rehabilitiert, bevor Klarheit über Schuld oder Unschuld besteht.