Seine Werbeaufnahmen für Mode- und Luxuslabels sah Helmut Newton nie als Kunst, obwohl er sie sorgfältig komponierte und ausleuchtete. Ein „Best of" ist jetzt im Berliner Museum für Fotografie zu sehen.
Wer kennt sie nicht, die „Nude"-Fotografien mit den großformatigen nackten Frauen auf High Heels von Fotograf und Künstler Helmut Newton. Sie machten ihn weltweit bekannt. Weniger bekannt blieb, dass Newton im Auftrag von internationalen Firmen, Marken und Labels regelmäßig für Werbekampagnen arbeitete. Auf den Fotos der SchwarzWeiß-Kampagne für den Pharma-Konzern Bayer reichen souveräne, moderne Frauen in unterschiedlichen Situationen ihren Partnern eine kleine Pille gegen die erektile Dysfunktion. Das Motiv ist klar und die unverkennbare fotografische Handschrift Newtons unterstreicht deutlich den Werbezweck. Das war Newtons letzter Werbeauftrag vor seinem Tod 2003.
Zwar stoppte der Auftraggeber Bayer 2004 die Veröffentlichung der Kampagne wegen eines drohenden Rechtsstreits mit dem Konkurrenten Pfizer (Viagra), aber dennoch sind die Originalfotos in der aktuellen Ausstellung „Helmut Newton. Brands" im Berliner Museum für Fotografie der Helmut Newton Stiftung zu sehen. Über 200 Fotografien zeigen Newtons Arbeiten, die für internationale Luxus- und Lifestyle-Marken wie Swarovski, Yves Saint Laurent, Wolford, Blumarine, Redwall und Lavazza mit bekannten Models oder Künstlerinnen wie Monica Bellucci, Carla Bruni und Carré Otis entstanden.
Kunden vertrauten seiner Arbeit
Bereits 2005, kurz nach seinem Tod, wurde Newton posthum mit der Ausstellung „A Gun for Hire" (Auftragskiller), wie er sich selbstkritisch nannte, im Grimaldi-Forum in Monaco und anschließend im Museum für Fotografie in Berlin als Werbefotograf gewürdigt. An diese Schau schließt die aktuelle Ausstellung an und zeigt viele in den 1980er- und 90er-Jahren entstandene Auftragsarbeiten für Werbekunden wie die Marke Absolut Vodka. Kunden und Agenturen mussten sich Newton leisten können und Vertrauen in seine Arbeit haben.
Meist habe Newton für seine kommerzielle Fotografie eine „Carte blanche" von seinen Auftraggebern erhalten, so schildert es Matthias Harder, Direktor und Kurator der Helmut Newton Stiftung. Im Gegensatz zur Modefotografie, bei der er sich oft von seinen Auftraggebern eingeengt und gemaßregelt fühlte, konnte Newton in der Werbefotografie seine Ideen mit den entsprechenden Produkten frei umsetzen. Wer sieht schon auf den ersten Blick die Uhr von Paul Picot auf dem Foto (Monte Carlo, 1992), auf dem die langen Fingernägel einer Frau auf dem nackten Rücken eines Mannes entlangfahren?
Die Flacons auf dem Foto für Alberta Ferretti Parfum (Monaco, 2003) erscheinen ebenfalls etwas zeitverzögert im Blickfeld des Betrachters. Vor dem Entdecken des Flacons erzählt das Bild auch hier die Geschichte einer besonderen Frau.
Denn in Newtons Bildkompositionen steht der Mensch im Mittelpunkt, der Körper, das Produkt stellt lediglich eine Ergänzung der Inszenierung dar. Es ist die klassische Newton-Strategie: Er provoziert und schafft damit Aufmerksamkeit. Die Locations der Aufnahmen sind weder Ateliers noch Fotostudios. Newton sucht passend zum Produkt die Umgebung für die Werbefotos, größtenteils in und um Monaco. Auf der Straße, am Meer oder an Mauern stellt er Beziehung zwischen Orten und den zu bewerbenden Luxus-Produkten her, ohne dass beide normalerweise in einem Zusammenhang zueinander stehen müssten. Er baut in seinen Fotos Narrative mit nachhaltiger Wirkung auf. Für die Kampagne des italienischen Winzers Ca’del Bosco (Erbusco, 1989) helfen die Models einfach mal nackt bei der Weinernte. Den fertigen Wein genießen sie dann ebenfalls unbekleidet am Tisch. Nicht anzüglich, aber herausfordernd und anregend. Und bestimmt verkaufsfördernd.
1991 fotografierte Helmut Newton für Yves Saint Laurent. Telefonierend steht eine blonde Frau, die Hand in die Taille gestützt, in einem hoch geschlitzten goldenen Kleid vor einem roten Vorhang. Der trennt sie vom Nebenraum, in dem zwei Männer auf sie zu warten scheinen. Eine Szene wie aus einem Film, zu dem jede und jeder unterschiedliche Assoziationen knüpfen könnte.
Auch Polaroids und Lookbooks
Newton fotografierte Haute Couture oder Prêt-à-porter-Entwürfe, passte das Setting, die Szene immer individuell an die entsprechende Mode-Saison an. Dabei arbeitete er mit internationalen Star-Models zusammen. Auf einem der Fotos in der aktuellen Ausstellung liegt Nadja Auermann auf Steinen am Meer und posiert für eine Kampagne des italienischen Labels Blumarine. „Newton baute für jedes Foto eine ungewöhnliche Bühnensituation mit teils unvorstellbaren Szenen, die aber bei ihm fantastisch funktionierten", erklärt Kurator Matthias Harder. So zeigt eine Arbeit Newtons Schauspielstar Monica Bellucci im Kleid von Anna Molinari, der Designerin und Gründerin von Blumarine. Sie vertraute dem Fotografen, beauftragte ihn immer wieder.
Neben großformatigen Fotos gibt es im Berliner Museum für Fotografie nun auch Polaroids, Kontaktbögen und Lookbooks zu sehen sowie Newtons Werbefotografien in Zeitschriften und Prospekten. Bei einer Werbekampagne für Chanel blitzte der Brustansatz des Models an der Kostümjacke etwas mehr hervor, als man es von der Luxus-Marke erwartet hätte. Das Foto wurde trotzdem veröffentlicht. Newtons Fotos erschienen in Magazinen und Kalendern, als Werbebanner an Fassaden oder Fahrzeugen. Auftragsfotos für Wandkalender wie für den Turiner Kaffeeröster Lavazza und die Tabakfirmen Dannemann und Philip Morris, entstanden exklusiv, oft limitiert für nummerierte Wandkalender. Sehr schnell wurden sie zu begehrten Sammlerstücken. Eine Auswahl der Kalender wird übrigens im Museum für Fotografie in der Dauerausstellung „Helmut Newtons Private Property" gezeigt. Allerdings ist dort jeweils nur ein Motiv zu sehen, das von Zeit zu Zeit ausgewechselt wird.
Zwei Räume der Ausstellung zeigen die Auftragsarbeiten für den österreichischer Lingerie-Hersteller Wolford sowie Motive für einen exklusiven Kalender der Marke für die Jahre 1993 und 1994. Die von Newton in Szene gesetzten Frauen in Strumpfhosen und enganliegenden Bodys erscheinen werbewirksam auf den Verpackungen, großformatig auf Bussen und am Galeries Lafayette in Paris als 20-Meter-Banner. Attraktiv, anziehend und spannungsgeladen sind auch diese Schwarz-Weiß-Fotos ganz im Newton-Stil.
Spannungsgeladene Inszenierungen
Ob er für das Editorial internationaler Magazine oder für Werbekampagnen von Luxus-Herstellern arbeitete, Newton blieb sich in seinem fotografischen Anspruch, in Komposition und Stil, in seinen kontrastreichen Inszenierungen sowie seiner einmaligen professionellen Leistung treu. Ganz gleich ob seine Auftraggeber aus dem Luxus-Segment Valentino, Yves Saint Laurent, Wolford, Swarovski oder Chanel hießen – für Chanel drehte er gleich zwei Werbefilme mit Catherine Deneuve für das legendäre Parfüm „Chanel No 5" – oder ob es sich um Produkte wie Kaffee, Armbanduhren, Autos oder Wein handelte.
Helmut Newton bleibt einer der populärsten und bedeutendsten Fotografen des 20. Jahrhunderts und er spielte, das zeigt die Ausstellung, die Klaviatur der kommerziellen Fotografie perfekt.
Seine Werbefotografie gehört zu seinem künstlerischen Gesamtwerk, auch wenn Newton selbst meinte: „Die fotografische Arbeit mancher Menschen ist Kunst. Meine nicht. Wenn meine Fotos zufällig in einer Galerie oder einem Museum ausgestellt werden, soll es mir recht sein. Aber das ist nicht der Grund, warum ich sie mache. Ich bin ein ‚Auftragskiller‘."
Info
Noch bis zum 14. Mai 2023 ist die Ausstellung „Helmut Newton. Brands" im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, 10623 Berlin zu sehen.
Weitere Informationen zu Öffnungszeiten und Tickets: helmut-newton-foundation.org
Im Taschen Verlag ist zudem eine von der Helmut Newton Stiftung überarbeitete Neuausgabe des Bildbandes „A Gun for Hire" erschienen und zeigt auf 240 Seiten zahlreiche Werbeaufnahmen des Fotografen.